Spielerisch Kirche entwickeln
Das Bistum bietet mit einer Demografiesimulation ein neues Workshop-Angebot. Pfarreien und katholische Gruppen können sich ab sofort für das Pilotprojekt bewerben. Sonja Sailer-Pfister, Leiterin des Projektes Demografische Entwicklung im Bistum Limburg stellt das Projekt im Interview vor.
Frau Dr. Sailer-Pfister, ab sofort gibt es für katholische Pfarreien und Gruppen ein neues Beratungs- und Unterstützungsangebot des Bistums: eine sogenannte Demografiesimulation. Was hat es damit auf sich?
Eine Demografiesimulation versucht, den Demografischen Wandel für katholische Pfarreien greifbar und sichtbar zu machen. Wir kennen alle die Entwicklungen und Statistiken. Die Gesellschaft altert und die Lebenserwartung steigt. Das ist zunächst positiv und eröffnet auch für die Kirche ein Potenzial. Aber es gibt natürlich auch das Problem, dass es weniger junge Menschen gibt und dass noch einmal weniger junge Menschen der Kirche im Sinne einer Mitgliedschaft verbunden sind. Die Demografiesimulation visualisiert und konkretisiert diesen Prozess. So wird es möglich, Entwicklungen und Veränderungen nicht nur wahrzunehmen, sondern diese konkret in die weiteren Überlegungen hineinzunehmen. Die Chancen und Potentiale des Wandels werden deutlich.
Wie genau läuft das ab?
Wir stellen zu Beginn den Status Quo einer durchschnittlichen Pfarrei neuen Typs im Jahr 2017 dar. Wir haben dazu Statistiken und die aktuellsten Zahlen ausgewertet, damit die Simulation möglichst wirklichkeitsgetreu und repräsentativ ist. Die Teilnehmenden ergänzen dann verschiedene Orte und kirchliche Angebote und sprechen darüber, wo vor Ort Menschen zu finden sind und wofür sie sich engagieren. Anschließend simulieren wir jeweils die prognostizierte Entwicklung in Zehnjahreszeiträumen - also 2030, 2040 und 2050. Das geschieht spielerisch mit kleinen Spielfiguren, wie wir sie vom „Mensch ärgere-dich-nicht“-Spiel her kennen. Sie werden immer weitergeschoben oder – je nach Prognose – auch ganz herausgenommen. Dadurch wird gut sichtbar, wie sich die Alterspyramide verschiebt und was das konkret für die Gesellschaft, für die Pfarrei und für Angebote bedeuten könnte. Ganz automatisch entstehen dann zwischen den Teilnehmern Interaktion und Diskussion.
In vielen Pfarreien finden gerade Veränderungen statt. Da wachsen Pfarreien, die gerade eine Pfarreiwerdung hinter sich gebracht haben, erst noch zusammen oder es wird etwas Neues im Rahmen der Kirchenentwicklung ausprobiert. Warum sollten Engagierte sich jetzt noch zusätzlich mit Demografie beschäftigen?
Eine Demografiesimulation ist kein zusätzlicher Prozess, sondern ein Baustein und Teil von Kirchenentwicklung. Viele Pfarreien beschäftigen sich ja bereits mit ähnlichen Fragen, erarbeiten Leitbilder und Visionen, entwickeln neue Angebote oder beraten zum Beispiel darüber, was mit dem Immobilienbestand in den Kirchengemeinden passieren soll. Die Demografiesimulation knüpft hier an und ist eine Einladung, um Pastoral vor Ort weiterzuentwickeln.
Wo sehen Sie bei der Methode der Demografiesimulation Stärken und Grenzen?
Die Stärken sind ganz klar, dass der Demografische Wandel nicht abstrakt bleibt, sondern konkret greifbar wird. Das geschieht nicht durch Tabellen, sondern spielerisch mit Figuren zum Anfassen. Man kommt so viel einfacher ins Gespräch, kann erste Ideen spinnen und bereits etwas ausarbeiten. Die Stärke der Methode liegt in der Dynamik. Sie stößt Prozesse an. Sie wirkt katalytisch und wirft viele Fragen auf. Lösungen müssen allerdings für jeden Kontext erst entwickelt werden. Da liegt die Grenze der Methode. Aber sie zeigt uns, für wen wir da sein können, zumindest die Größe der Altersgruppe in 10, 20, 30 Jahren.
Der Demografische Wandel ist ein gesellschaftliches Thema, das natürlich auch die Kirchen betrifft. Warum lohnt es sich noch, an der Demografiesimulation teilzunehmen?
Demografischer Wandel heißt nicht nur, dass wir alle älter werden, sondern auch, dass sich unsere Gesellschaft anders zusammensetzt. Es wird zwar auch in Zukunft Jugendliche geben. Die Frage ist nur, wo sie sich engagieren. Für Pfarreien wird es daher immer wichtiger, zu schauen, welche Menschen vor Ort leben, um dann daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Wenn ich in einem Viertel wohne, das tendenziell stärker von Älteren bewohnt ist, sollten pastorale Angebote darauf reagieren. Es gilt auch den Sensus zu schärfen für eine andere Entwicklung: eine neue Hochaltrigkeit. Wir haben Leute, die dann eben nicht mehr mobil sind, aber vielleicht trotzdem pfarrliche Angebote nutzen würden. Sind diese Leute und auch andere Gruppen im Blick? Braucht es für diese Gruppe nicht andere Orte von Kirche, als wir sie zurzeit kennen? Und zuletzt hilft die Simulation dabei, Zukunftsmodelle zu entwickeln, wo wir vielleicht auch neue Menschen gewinnen können. Die Studie des Freiburger Professors Bernd Raffelhüschen vom Forschungszentrum Generationenverträge hat sich ja nicht nur mit dem Demografischen Wandel beschäftigt, sondern auch die Austrittsmotivation untersucht. Viele Menschen treten zum Beispiel im Übergang zum Berufsleben aus, weil sie dann Kirchensteuer zahlen müssen. Diese Erkenntnisse gilt es zusammenzudenken.
Der Demografische Wandel betrifft Kirchen signifikant stärker als die Gesamtgesellschaft. Welche Erfahrungswerte gibt es da?
Innerhalb der katholischen Kirche ist der Demografische Wandel immer wieder Thema. Es gibt aber keine systematischen Konzepte oder Projekte. Kommunen und Städte sind da zum Teil schon viel weiter. Sie haben meist schon Demografie-Beauftragte, die diese Themen bearbeiten. In Rheinland-Pfalz gibt es zum Beispiel auch die Demografie-Woche, die für das Thema sensibilisiert. Mit unserer Demografiesimulation sind wir allerdings im kirchlichen Bereich wirklich avantgardistisch. Das Projekt ist ein Pilotprojekt, das überdiözesan noch seinesgleichen sucht. Das wurde uns Ende Januar auf dem Bundestreffen der Altenpastoral der Deutschen Bischofskonferenz noch einmal deutlich und positiv zurückgemeldet. Deshalb würden wir uns auch freuen, wenn sich zahlreiche Pfarreien bewerben und Lust haben, den Demografischen Wandel positiv mitzugestalten.